„Grausame, du hast das Todesurteil einer Schwester unterschrieben!“
Maria Stuart, Königin von Schottland – ihr Name wird wohl für die Ewigkeit mit einem anderen Namen verbunden sein: Elisabeth I. von England. Maria und Elisabeth: zwei Königinnen, zwei Gegenspielerinnen, zwei Frauen in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Als „sister and cousin“ sind sie einander, entgegen der literarischen Fiktion, niemals leibhaftig begegnet.
Was sie auf ewig aneinander bindet, ist ein schrecklicher Fakt: Eine von ihnen muss sterben. Die tödliche Feindschaft entzündet sich an dieser einen Frage: Wem gehört der englische Thron? Elisabeth? Ja, eindeutig, sagen die englischen Kronjuristen. Und gleichermaßen nein: Für die katholische Welt ist sie als Bastard des Thrones unwürdig – einzig Maria könne ihn für sich beanspruchen. Beide Frauen hätten – so ganz für sich – in dieser Zwangslage wohl lieber einen halben und falschen Frieden gehalten. Aber das scheint unmöglich: Indem Maria wie ein gefährlicher Virus in das System Elisabeth eindringt, gerät das fragile Gleichgewicht ins Wanken. Die Konstellation der historischen Stunde erlaubt ihnen kein Nebeneinandersein: 1587 wird Maria hingerichtet.
Elisabeth I. hat ihrer mehr als 40 Jahre währenden Regierungszeit ihren Namen aufgeprägt: das Elisabethanische Zeitalter. Sie wehrt sich zeitlebens erfolgreich dagegen, ihre Macht mit einem Ehemann zu teilen und wird zur berühmten „Virgin Queen“. Maria Stuart geht fast wie ein Gespenst durch die Geschichte der Macht, und man würde sich vermutlich kaum an sie erinnern, hätte sie nicht dieses singuläre Schicksal. Sie hat kein gewaltiges historisches oder kulturelles Erbe hinterlassen – und dennoch eine unvergleichliche Attraktion auf die Nachwelt ausgeübt. Ihr Aufstieg zur Macht erfolgt raketenhaft: mit sechs Tagen Königin von Schottland, mit sechs Jahren Verlobte und mit 17 schließlich Königin von Frankreich. Wie im Traum scheint ihr alles zuzufliegen. Ihre Männer, ihre Ehen, ihr Kind. Und genauso schnell ist alles verblüht, verwelkt, vorüber, und sie erwacht enttäuscht und verstört. In diesem unübersichtlichen Zustand erreicht sie, um Hilfe bittend, England, wo bereits eine andere seit zehn Jahren den Thron innehat.
Maria und Elisabeth verkörpern, wie es Stefan Zweig formuliert, eine „große welthistorische Antithese […] bis in die letzte Einzelheit kontrapunktisch [durchgeführt]“. Friedrich Schiller hat mit seinem Trauerspiel von 1800 das spätere Bild dieser zwei Frauen entscheidend geprägt und eine Geschichte von politischer Intrige zum einen und der Gewinnung von Freiheit und Autonomie auf der anderen Seite erzählt.
Diese Komplexität ist in Donizettis Oper von 1835 nicht zu finden. Hier steht das Gefühlsleben der beiden Frauen im Zentrum, zusammengedrängt auf die letzten 24 Stunden vor der Unterzeichnung des Todesurteils und der Hinrichtung Marias. In dieser kurzen Zeitspanne erleben sie alle nur denkbaren emotionalen Extreme: das Glücksgefühl des Triumphs, den depressiven Zusammenbruch, peinigende Selbstbefragung, lockende Aussicht auf Befreiung und lähmende Todesangst.
Elisabeth und Maria werden beide gleichermaßen beobachtet, beurteilt, manipuliert und kontrolliert. Als Repräsentantinnen der Staatsmacht sind sie mit den „zwei Körpern“ des Monarchen ausgestattet: ihrem „natürlichen Körper“, der sterblich und unvollkommen ist, und ihrem „politischen Körper“, der vollkommen ist und niemals stirbt. Dieser Körper ist das grell ausgeleuchtete stählerne Gehäuse des gewaltigen Machtapparats, in dem beide Frauen festgezurrt sind – hart genug, um dem Menschen das zarte Träumen endgültig auszutreiben und jedes imaginäre Glück zu zerstören. Und so sind Maria und Elisabeth – in ihrer jeweiligen Einsamkeit – ganz gleich. Sie bewegen sich umeinander, fast gänzlich ausbalanciert, einem Tanz gleich. Je länger sie tanzen, umso näher kommen die beiden Königinnen einander, um vielleicht für einen winzigen Moment jenseits der Macht zu denen zu werden, die sie sind: fragile Kreaturen, die einen Halt in der Welt suchen.
Yvonne Gebauer