„Liebesbriefe“ wollte Leoš Janáček sein zweites Streichquartett gar nennen, entschied sich dann aber doch für den weniger skandalträchtigen Titel „Intime Briefe“: „Hinter jedem Ton stehst Du, lebendig, heftig, liebevoll“, verriet er seiner geliebten Kamila Stösslová, einer 37 Jahre jüngeren, verheirateten Hausfrau und Mutter. Sie ging ihm so gut wie möglich aus dem Weg und ließ ihn träumen: Über 700 schwärmerische Briefe schrieb er ihr, manchmal mehrere an einem Tag, und fantasierte sogar von einem gemeinsamen Kind, während sie in ihren wesentlich spärlicheren Antworten beim Sie blieb und ihn „Meister“ nannte … Da passt es, dass das F-Dur-Werk aus Haydns Opus 50 ein Poco Adagio enthält, das im 19. Jahrhundert den Beinamen „Der Traum“ erhielt: im gleichzeitigen Aufwärts der Melodie und dem Abwärts der Begleitstimmen scheint dort in trügerischer Harmonie das Auseinanderstreben unvereinbarer Kräfte vorgebildet, als wären damit Janáček und Stösslová gemeint. Doch noch ein Werk bringt das großartige junge Erinys-Quartet mit, ein Ensemble, das sich in Helsinki gebildet hat und dessen Mitglieder aus Estland, Litauen, Griechenland und den USA stammen: „Terra Memoria“ aus der Feder der finnischen Komponistin Kaija Saariaho. Das bewegende Stück erklang zuletzt zu Ostern 2023 auf Schloss Esterházy, wenige Wochen später war seine Schöpferin tot: Nun kehrt es im Gedenken an sie zurück.
PROGRAMM
Kaija Saariaho
Terra Memoria
Joseph Haydn
Streichquartett F-Dur, op. 50,5, Hob.III:48
Leoš Janáček
Streichquartett Nr. 2 "Intime Briefe"