„Liefern Sie mir den Beweis, dass Pferde fliegen können.“
Kalifornien vor 150 Jahren. Der aus England eingewanderte Eadweard Muybridge (1830-1904) gilt als rätselhaftes Genie und exzellenter Fotograf. Seine vom Staat beauftragten Landschaftsfotografien setzen Maßstäbe. Pausenlos arbeitet er an neuen Apparaturen und Techniken, um dem noch jungen Medium der Fotografie Flügel zu verleihen.
Der Eisenbahn-Tycoon Leland Stanford – einer der damals reichsten Männer der Welt und berüchtigter Pferdenarr – lädt Muybridge auf seine Ranch in Palo Alto ein und beauftragt ihn mit einer unlösbaren Aufgabe: Muybridge soll erstmals ein Pferd im Galopp ohne Bewegungsunschärfe ablichten. Stanford erhofft sich durch diesen technischen Quantensprung einen Wettbewerbsvorteil für seine Pferdezucht. 1878 schließlich gelingt Muybridge die Sensation – die Fotoserie des galoppierenden Pferdes Occident geht um die Welt und wird zu einer Ikone der Moderne.
Halt. Das ist nicht die ganze Geschichte. Am 17. Oktober 1874 fährt eben jener Eadweard Muybridge nachts mit einem Kutscher hoch zu den Minen von Yellow Jacket, klopft an die Tür einer Bergarbeiterhütte, fragt nach einem Bekannten namens Harry Larkyns – und erschießt ihn kaltblütig. Das Motiv? Larkyns hatte eine Affäre mit Muybridges Ehefrau, der jungen und unabhängigen Flora. Eifersucht. Gekränkte Männlichkeit. Der spätere Wegbereiter des Kinos ist ein Mörder. Ist die Geburt des Kinos in Blut getränkt? Ist der Auslöser einer Kamera verwandt mit dem Abzug einer Pistole?
Nur kurz darauf entwickelt der immer exzentrischer werdende Muybridge mit dem Zoopraxiskop eines der ersten Projektionsgeräte für sich bewegende Lichtbilder: Die Fotografien von Occident kommen vor einem staunenden und begeistert schauenden Publikum in Stanfords Villa wieder in Bewegung. Der Film ist geboren – und mit ihm das Kino. All dies geschieht in der Gegend zwischen San Francisco und Palo Alto, an jenem Ort also, den wir heute Silicon Valley nennen.
Bullet Time führt zurück an den Nullpunkt unserer medialen Gegenwart. Zu dem Moment, in dem Bilder begannen, massenhaft in unsere Wirklichkeit einzufallen. Zurück in die Zeit, als Technologie und Kapital in Kalifornien erstmals zu verschworenen Komplizen wurden – und fortan via Hollywood und Silicon Valley unsere Ideen, unsere Ästhetik und unser Verhalten formen und regulieren sollten.
Alexander Kerlin hat aus diesem reichen Material ein Stück für das Volkstheater geschrieben, Kay Voges verwandelt mit großem Ensemble die Bühne in ein Filmset. Es entsteht ein packender Gerichtsthriller, ein Drama der Technikgeschichte, eine Explosion der Bilder und – trotz allem – eine Liebeserklärung an das Erzählen, an die Fotografie, das Kino und das Theater.
Mit englischen Untertiteln