Also Punkt eins wäre abgemacht. Sie lieben meine Frau und meine Frau liebt Sie. Und nun sehen Sie, wie gut das zusammen geht! Denn denken Sie: ich liebe Ihre Frau und Ihre Frau liebt mich! Was wir vier eigentlich für ein Glück haben! Und da können wir ja jetzt gleich am selben Tage Hochzeit machen.
Dr. Jura
Der berühmte Pianist Gustav Heink ist seinen Schülerinnen mindestens so zugetan wie diese ihm. Um die gegenseitige Zuneigung voll auskosten zu können, verabschiedet sich Heink regelmäßig mit den Worten "Ich habe ein Konzert" von seiner Frau Marie. Gespielt wird in Wahrheit allerdings in seiner abgelegenen Berghütte – ohne Publikum! Marie sieht diesem Treiben jahrelang geduldig zu, bis Heink mit Delfine, der jungen Ehefrau des unkonventionellen Dr. Jura, zu einem "Konzert" aufbricht. Ausgerechnet eine eifersüchtige Schülerin telegrafiert anonym an Dr. Jura, der jedoch ganz anders reagiert als erwartet: Statt zur Waffe zu greifen, sucht er Marie auf und schmiedet mit ihr einen Plan. Kurz darauf herrscht ungewohntes Leben in Heinks beschaulicher Berghütte.
In diesem Schwank der glücklich verhinderten Ehebrüche zeigt sich wie in keiner anderen Komödie Bahrs der funkelnde Schliff dieser Gattung, bekundet sich der smarte Bühnenroutinier und verrät sich der geistreiche und glänzende Schriftsteller. In blendenden Aphorismen gibt er hier eine Kritik der Ehe, ihrer Freiheiten und ihrer Unfreiheit. Heink, der nervöse Künstler, der "passive Don Juan", möchte fast wie ein Selbstporträt Bahrs erscheinen. In die Reihe der Gestalten, die er in der Wärme seiner großen Freundschaft für Max Burckhardt gehegt und geschaffen hat, gehört der Doktor Jura, einer von den innerlich Befreiten, den heimlichen Anarchisten. Und ihm gegenüber die Gattin Heinks, das einzige vollkommen ausgeglichene und durchaus sympathische Frauenwesen, das sich in allen Werken Bahrs findet.
„Würzburger Bühnenblätter, 1919“