»Eine Frau im Schatten vieler Männer«
Jan Lauwers über Lee Miller
In einer Uraufführung bringen Jan Lauwers, Kate Lindsey und die Needcompany das Leben und die Lebenswelt einer der bemerkenswertesten Künstlerinnenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts auf die Opernbühne im NEST: Lee Miller.
Die Oper ist das Porträt dieser Frau, die am Ende ihres Lebens sagte, sie fühle sich wie eine Kuh, die trocken gemolken worden sei. Die Amerikanerin war Fotografin, Topmodel in New York, Surrealistin in Paris und Kriegsberichterstatterin der US-Army im Zweiten Weltkrieg. Wie war eine Frau, die im Schatten vieler Männern stand. Somit ist das Portrait nicht nur das von Lee, sondern von so vielen Frauen in der Geschichte der Kunst, die geknebelt wurden.
Zur Inszenierung
Jan Lauwers schrieb den Text zu Lee Miller in Hitler‘s Bathtub für die Mezzosopranistin Kate Lindsey, die er bei der gemeinsamen Arbeit an Monteverdis L’incoronazione di Poppea an der Wiener Staatsoper kennenlernte. Seine Tochter, die Schauspielerin Romy Louise Lauwers, beeinflusste den Entstehungsprozess des Werks als »erste Leserin« entscheidend. Beide Frauen verkörpern im Stück Lee Miller nicht im Sinn einer exakten biographischen Darstellung, sondern stellvertretend für viele Frauen in der Kunstgeschichte, die bewusst übersehen oder zum Schweigen gebracht wurden.
Musikalisches
»Die Zusammenstellung des fünfköpfigen Ensembles aus Schlagzeug, Streichern, Posaune und Kontrafagott ist getrieben von der Suche nach dem Moment, in dem das autonome Instrument und sein Klang körperlich werden und der Instrumentalist zur Körperlichkeit wird. es wird durch den Dreck geschuftet, nicht über den Wolken geschwebt.« (Jan Lauwers)
Wissenswertes
Die amerikanische Künstlerin Lee Miller fasziniert den belgischen Theatermacher Jan Lauwers seit langem als eine der starken Frauenfiguren, die sein Werk entscheidend beeinflusst haben. Lauwers beschreibt Lee Miller als »eine Frau im Schatten vieler Männer«. Von ihrer künstlerischen Zusammenarbeit mit Man Ray, dem Pionier der experimentellen Fotografie, wissen heute nur noch wenige, eher erinnert man sich an sie als Ehefrau des britischen Surrealisten Roland Penrose oder als Modell für Pablo Picasso. Am berühmtesten ist jedoch ein Bild von ihr: »Lee Miller in Hitler’s Bathtub«, aufgenommen vom Life-Fotografen David E. Scherman, mit dem Miller eng zusammenarbeitete. Die beiden hatten in Dachau das Grauen des Konzentrationslagers dokumentiert und fuhren anschließend nach München. Kurz nach Hitlers Selbstmord in Berlin am 30. April 1945 betraten sie dessen Wohnung am Münchner Prinzregentenplatz. Dort entstand das Foto.
»Der Text«, so Jan Lauwers, »setzt in dem Moment ein, als Lee Miller in ihren stinkenden Kleidern, in denen noch der Leichengeruch von Dachau hängt, vor Hitlers Badewanne steht.« Lauwers interessiert sich dabei für die Ambiguität der Figur Lee Millers als einer Frau und Künstlerin in einer patriarchalischen Gesellschaft. Manche ihrer Bilder sind noch heute bekannt – bekannter als die Urheberin. Nach ihrer Heirat mit Roland Penrose und der Geburt ihres Sohnes arbeitete Miller kaum noch als Fotografin. Hinter ihrer späteren Alkoholkrankheit wird eine posttraumatische Belastungsstörung infolge der Kriegsereignisse vermutet.