Auf den ersten Blick würde man meinen, Martina wird von ihren Eltern nur zu streng behandelt. Das siebenjährige Mädchen muss essen, was auf den Tisch kommt, auch wenn es schon etwas gammelig schmeckt, und falls sie das nicht tut, dann setzt es eine Konsequenz.
Erst auf den zweiten Blick offenbart sich der Horror dieses äußerlich funktionierenden Drei-Personen-Haushalts. Martina wird laufend Verhaltensprüfungen, Vorwürfen und Moralpredigten ausgesetzt („Den Ton kannst du bei den Vereinten Nationen anschlagen, nicht bei mir!“), bei denen sie nur versagen kann – und die Eltern filmen diese Prüfungen heimlich für ein kommerzielles Videoprojekt mit. In der Cornflakes-Packung ist eine Kamera versteckt. Martina ist unwissentlich die alleinige Hauptdarstellerin eines privaten Dschungelcamps, Vater und Mutter sind die Produzent/innen.
In seinem bitterbösen Familienporträt verschiebt Clemens J. Setz, der auch in seiner Prosa durch eine sezierende, analytische Sprache besticht, geschickt die Grenzen zwischen krimineller Handlung und erlaubter Profitgier. Eine empathiefreie Erwachsenenwelt (zu der auch zwei Freund/innen des Elternpaares gehören, die sich um die Verkaufsstrategien für die entstandenen Filme sorgen) gerät in ihrer ästhetischen Diskussion über das, was „fake“ ist und was „natural“, außer Kontrolle.
Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er studierte und heute als Übersetzer und freier Schriftsteller lebt. Nach mehreren vielbeachteten Prosawerken ( ''Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes'', ''Indigo''oder ''Die Stunde zwischen Frau und Gitarre'') trug ihm sein erstes Stück auf Anhieb eine Einladung zu den Mülheimer Theatertagen Stücke 2017 ein.
Nach ''Hose Fahrrad Frau'' (2016) widmet sich Regisseurin Holle Münstererneut mit Max-Reinhardt-Seminarist/innen einem brandneuen österreichischen Theatertext.
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